RoSa Loui Reviewed

Kritik NZZ 31.1.2016

Babylonische Sprachbezirzung
«Wo chiemte mer hi?», fragte Kurt Marti einst. Zum Beispiel in die Lausanner Agglomerationsgemeinde Renens. Neue CDs der Spoken-Word-Gruppe Bern ist überall sowie von Guy Krneta und den Louisen.

http://www.derbund.ch/kultur/pop-und-jazz/babylonische-sprachbezirzung/story/18427966


Der Regioexpress fährt im Bahnhof von Renens ein, Türen öffnen sich zischend, man hört Durchsagen und eine refrain­artige Stimmencollage: «C’est ma vie, Renens», «Renens est partout» oder «Ja, auso z Renens». Die Spoken-Word-Formation Bern ist überall ist dort ausgestiegen, in der Lausanner Agglomerationsgemeinde mit der Postleitzahl 1020, rund 20’000 Einwohnern und einem Ausländeranteil von über 50 Prozent. Ausgestiegen sind sie und haben sich zu Expeditionen in dieses Stück Schweiz aufgemacht, Kinder der lokalen Musikschule getroffen und auch eine altgediente Klavierlehrerin und den Rapper Greis zur Mitarbeit eingeladen.

Guy Krneta macht gleich zu Beginn, unterlegt von einem leichtfüssigen Chanson, unmissverständlich und mit wachsendem Missmut deutlich, dass er «aucun problème» habe mit nichts und niemandem in diesem über 120 Nationen umfassenden multikulturellen Biotop. Gerhard Meister lässt die Namen all dieser Sprachen im rhythmischen Stakkato vorbei­defilieren; gefunden hat er sie im Katalog der ersten interkulturellen Bibliothek der Schweiz – die sich, natürlich, in Renens befindet. Michael Stauffer und Noelle Revaz lassen sich von dieser babylonischen Sprachvielfalt zu einem irrwitzigen Mückenmantra inspirieren, in dem sie virtuos einen Bannfluch gegen die lästigen Insekten in allen möglichen, pefekt imitierten Sprachen aussprechen. Ariane von Graffenried verirrt sich zu einem albanischen Coiffeur, der sein «Menü» präsentiert («es tönt e chli wi / e garantie d’une bonne vie»), und bekommt von diesem eine wortlose Antwort auf alle ihre drängenden Fragen. Und Pedro Lenz ist «underground» unterwegs, begleitet von einer geschmeidigen Jazzgitarre mischt er beide Sprachen und hält fest: «So tönts, weme d Wort / a di früschi Luft useholt, / weme d Schauwäue, / mou lot lo bäue.»

Damals auf der «Piazza Grande»

Dieses Renens als ein Ort mit vielen ausländischen Mitbürgern interessiere ihn, hat Pedro Lenz zu Protokoll gegeben und selbstbewusst hinzugefügt: «Die Politik theoretisiert über den Sprachaustausch, wir praktizieren ihn.» Der Sprung über den Röstigraben war absehbar, ist Bern ist überall doch schon längere Zeit zweisprachig unterwegs und hat seit einigen Jahren drei französischsprachige Mitglieder aus der Romandie: Laurence Boissier, Noelle Revaz und Antoine Jaccoud.

Letzterer ist auch bekannt als Drehbuchautor – an den aktuellen Filmtagen in Solothurn wird er geehrt – und scheint so etwas wie ein Türöffner gewesen zu sein für seine Kolleginnen und Kollegen. Renens ist für den gebürtigen Lausanner Jaccoud nämlich das Terrain seiner Jugend, das er auf zwei Tracks aufleben lässt: Auf der «Piazza Grande» des Vororts, die er nach langer Zeit wieder aufsucht, war er einst mit seinem Mofa unterwegs und bändelte mit Mädchen an – und während oben im «Petit Palace» nun Damen Sadomaso-Dienste anbietet, gibt es unten immer noch die Pam-Pam-Bar, wo er, der Lateinschüler aus Lausanne, einst von den jugendlichen Revierhirschen aufs Dach bekam. «Que le temps passe vite», sinniert er etwas wehmütig, «et comme rien ne s’oublie.» Kurzweilig in ihrer musikalischen und sprachlichen Vielfalt ist diese CD, zu der zwei Booklets mit den Texten auf Französisch und auf Deutsch gehören.

rosa loui, blaue see, rots horn

Die Galionsfiguren der zeitgenössischen Mundartwelle sind bei aller Sprachspiellust und Innovationsfreude durchaus traditionsbewusst und versäumen es nie, ihre Vorläufer und Wegbereiter zu preisen und zu ehren. Guy Krneta, bekannt als Dramatiker und Bern-ist-überall-Mitglied der ersten Stunde, hat sich zusammen mit vier exzellenten Musi­kern – den mühelos zwischen Rock und Jazz pendelnden Louisen – vor dem heute 94-jährigen Berner Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti verbeugt. Mit seinen Gedichtbänden «rosa loui» (1967) und «undereinisch» (1973) trug Marti entscheidend dazu bei, die Mundartliteratur aus dem Heimatschutzreservat zu befreien. Alltagsthemen und die politische Gegenwart wie der Vietnamkrieg wurden unter Verwendung von modernen literarischen Techniken wie Dadaismus und konkreter Poesie plötzlich in Mundart literaturfähig.

Krneta variiert Martis Gedichte, lässt sie sich buchstäblich auf der Zunge zergehen und benutzt sie mitunter als Keimzellen für neue Texte. Das «rosa loui»-Gedicht vervielfältigt sich etwa topografisch, da kommen in einem sehnsuchtsvollen Blues der blaue See, der weisse Stein und das rote Horn hinzu. In den besten Momenten, etwa in der «verkehrsornig» mit vorfahrenden Nachfahren und nachfahrenden Vorfahren, gewinnen die Texte Martis durch den ebenso dynamischen wie fein gewobenen Soundteppich und die energiegeladene Vortragskunst Krnetas unmittelbare Frische und Zeitgenossenschaft.

Bei der Aufnahme für die Doppel-CD des Bühnenprogramms war Kurt Marti im Herbst 2014 in der Ka-We-De Bern übrigens anwesend. Auf der zweiten CD liest Marti seine Gedichte auf einer Sprechplatte des Zytglogge-Verlags und in Radioaufnahmen aus den 1960er-Jahren – leise, prägnant und eindringlich.

Bern ist überall: Renens. Verlag Der gesunde Menschenversand, CD, 28 Fr. Guy Krneta, Kurt Marti, Louisen: rosa loui, Verlag Der gesunde Menschenversand, 2 CDs, 34 Fr. (Der Bund)
(Erstellt: 23.01.2016, 12:18 Uhr)

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